Ich, der Weinsnob

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Ein- und Ansichten eines Geniessers

Zürich, 10 Grad, sonnig. Die Frisur sitzt.

Die Terrasse direkt am Zürichsee wirkt einladend. Schöne Menschen mit noch schöneren Sonnenbrillen und beeindruckend frisierten Frisuren haben sich bereits die besten Plätze ergattert. Ich suche mir einen ruhigen Tisch im hinteren Teil des Lokals, aber noch immer in strategisch günstiger Nähe zum "Laufsteg Zürich". Promenadenkino ist etwas Grossartiges.

Der sehr coole Servicemitarbeiter mit einem ebenso coolen Outfit (seit wann müssen Kellner eigentlich stylisch perfekt sein und die trendigsten Outfits tragen?) streckt mir die Getränkekarte entgegen. Sein Gewichtsausdruck liegt  irgendwo im Niemandsland zwischen "wer bist du denn" und "wo haben sie dich denn rausgelassen". 

Es ist bereits später Nachmittag. Dies rechtfertigt den Gedanken an ein Glas Wein. Ich schaue in die Karte und entdecke die üblichen Grausamkeiten an Weiss- und Rotweinen und den obligaten, in durchdesignten Flaschen abgefüllten langweiligen Rosé. Leicht entmutigt frage ich den Kellner, ob er nichts Gescheites hat. Sein Gesichtsausdruck hat sich soeben auf "wo haben sie dich denn rausgelassen" eingependelt. 

So, das war‘s. Ich habe mich geoutet: Ich bin ein Weinsnob

Ich selbst würde mich natürlich nie so bezeichnen, aber für Aussenstehende wirkt es wohl so. Auf viele Zeitgenossen mögen meine Ansprüche an Qualität, die leicht affektierte Art, ein Weinglas zu halten oder an selbigem ständig zu schnüffeln, arrogant wirken. Aber nach beinahe 30 Jahren intensiver Qualitätskontrollen mehr oder weniger hochwertiger Tropfen und auch dem Genuss derselben, habe ich mir einige Marotten angewöhnt. Und ich glaube beurteilen zu können, was gut ist und was nicht. Objektive Beurteilung ist wirklich mein Ding. Das ist nicht immer kongruent mit meinem persönlichen Geschmack, dem was mir schmeckt - oder eben nicht schmeckt.

Obwohl: Ich kann auch anders! Vor kurzem erst durfte ich einen eher lauwarmen und sehr einfachen Wein aus einem Pappbecher schlürfen…! 

Ok, jetzt ist es offiziell

Nur schon, dass ich das jetzt erwähnen musste, beweist es: Ich bin Einer. Ein Weinsnob. Aber auch ich habe mal Klein begonnen und die anderen waren die elitär oenophilen Selbstdarsteller.

Dunkel erinnere ich mich an meine Anfänge. Klingende Namen wie Matteus Rosé, Beaujolais Nouveau, Kalterersee-Auslese, und natürlich der klassische, leicht erwärmte Bardolino auf dem Pizzaofen der Trattoria nebenan, sind mir noch genauso präsent wie der exzellente Cotes du Rhône von gestern Abend.

Ich habe mich einfach bei meinem beinahe täglichen Weingenuss an ein gewisses Qualitätsniveau gewöhnt. Muss ich mich jetzt dafür schämen? Sicher nicht! Ich bleibe auf dem Boden. Aber in meinem Leben hat es einfach keinen Platz für den Genuss einer überteuerten Plörre. Ein Bier ist dann die viel bessere Wahl. Ich trinke oft Bier...

Der Unterschied zwischen Weinsnobs und Wichtigtuern

Wenn ich mal wieder einen arroganten, völlig durchgestylten Schnösel an der trendigen Bar im Zürcher Seefeld sehe, der der freundlichen Bedienung abfällig zu verstehen gibt, dass er nur Bordeaux trinkt, oder den Wichtigtuer, der am Korken der soeben geöffneten Flasche riecht und meint: “Scheint akzeptabel zu sein“…

Dann, und nur dann, wünsche ich mir folgendes Szenario:
Der oben erwähnte Gast probiert, ob die frisch geöffnete Flasche in Ordnung ist. Seine Kollegen und Freunde erhalten ebenfalls vom kontrollierten Wein, und einige Sekunden später wird gemeinsam angestossen. Kurz darauf schreit der jüngste und scheinbar unerfahrenste Weintrinker in die Runde:

„aber der hat doch Zapfen!“