Vom Ziehen und Schrauben

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... oder die Philosophie des Öffnens einer Flasche mit Kork oder Drehverschluss

Am letzten Wochenende war es mal wieder soweit: In gemeinsamer trinkfreudiger Runde wurde ein von mir bereitgestellter Weisswein gnadenlos niedergemacht. Und warum? Der Wein war ausgezeichnet.

Der elegante und feinfruchtige Weisswein aus den Colli Orientali, den ich soeben zur frisch grillierten Dorade in die Mitte des Tisches gestellt hatte, war leider nicht mit einem Naturkorken versehen, sondern mit einem ordinären  Schraubverschluss. Aber einem edlen, denn auch bei dieser Verschlusskategorie reicht die Auswahl von einfach bis zu hochwertig.

Der Vorwurf einiger Gäste erfolgte schnell und gnadenlos: Einer der Gäste meinte sogar, dass er von mir als Weinhändler mehr Stil erwartet hätte. Worauf ich natürlich zu meinem grossen «Pro Schraubverschlussplädoyer» ansetzen konnte. Der Weinhändler, vorher noch Lieferant deines Vertrauens wird gezwungenermassen zum oenologischen Erklärbär.

Warum müssen hochwertige Weine nach Meinung vieler Weintrinker mit einem Naturkorken verschlossen werden? Müssten sie nämlich gar nicht. Eigentlich.

Inzwischen gibt es unzählige Untersuchungen zu diesem Thema: Die grosse Mehrheit aller Weinexperten – und dazu zähle ich nicht nur Winzer, Weinhändler und Sommeliers, sondern auch Weinliebhaber und Sammler – wissen inzwischen, dass der Schrauber, wie er in Österreich oder Deutschland genannt wird, die zumindest technisch gesehen beste Art ist, einen Wein zu verschliessen. Und das gilt nicht nur für die Haltbarkeit und die Frische des Flascheninhaltes, sondern vor allem für die Reinheit des Weines.

Mit Reinheit meine ich den oft beklagten Korkschmecker oder Zapfenton, den viele Rotweine und Weissweine, nach mehr oder weniger langer Lagerzeit in der Flasche aufweisen können. Verantwortlich für dieses unangenehme Fehlaroma ist die ungenügende Sauberkeit bei der Herstellung des Korkens, den man aus der Rinde der Korkeiche gewinnt. Ein Bakterium setzt sich im Korken fest, eine Aromenverbindung (Veresterung) zwischen Kork, Alkohol und Säure findet nun statt und ein Stoff namens Trichloranisol wird gebildet. Dieser riecht unter anderem nach schimmligem Papier oder feucht muffige Kartons.

Eines ist sicher. Wo kein Zapfen drin ist, kann der Wein auch nicht mehr nach fehlerhaftem Zapfen, der im besten Fall nur eine leichte Bitterkeit im Abgang aufweist, aber in den meisten Fällen diesen eben beschriebenen Geruch nach Schimmel, Muff und Moder hat, riechen und schmecken. Das alleine wäre eigentlich schon Grund genug, sich mit dem unbeliebten Schraubverschluss anzufreunden, aber nein: Wir hängen an unserem geliebten Korken. Aus welchem Grund auch immer: Ästhetik, Tradition oder vielleicht auch nur, weil es ja schon immer so war?

Wenn ich die Möglichkeit habe, zwischen Kork und Schrauber zu wählen, dann entscheide ich mich für den Schrauber. Ich weiss, dass es der bessere Verschluss ist, aber manchmal falle ich zurück in alte Muster und bevorzuge den klassischen Korken. Vor allem, wenn es sich um eine sehr hochwertige, teure Flaschen handelt.

Eigentlich paradox: Sollte man nicht gerade bei teuren Weinen auch den besten Verschluss bevorzugen? Oft frage ich mich, wie es wohl heute wäre, wenn die Spitzenwinzer des Bordeaux oder Burgunds in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts sich, nach Erfindung dieses neuen Verschlusses, mit Begeisterung auf den Schraubverschluss als innovative Verpackung konzentriert und den muffigen Kork aus ihren Kellern verbannt hätten.

Haben sie aber nicht. Es wurden gerade in den Anfängen besonders die billigen und einfachen Weine so verschlossen. Dieser Imageschaden ist leider nicht mehr zu korrigieren.
Trotz allem und wider besseren Wissens und jeglicher Konsequenz zum Trotz liebe ich es, einen Zapfen aus einer guten Flasche gereiften Weines zu ziehen.

Aber das hat weniger mit Logik als mit der Sinnlichkeit der Handlung, des Zelebrierens des Öffnens einer Flasche zu tun.